Objekt #21 / Arnold Schönberg: Landschaft

Öl auf Malpappe
ca. 1907–09
Catalogue raisonné 144

Belmont Music Publishers, Pacific Palisades/CA

»Sehr verehrter Herr Moll, ich danke Ihnen nochmals für Ihren freundlichen Besuch und für die sehr interessanten Auseinandersetzungen, die mir noch sehr viel zu denken Anlass geben werden. Aber soweit ich aus meiner Erfahrung Kunstkampf-Angelegenheiten überblicke, zeigen Sie mir den entgegengesetzten Weg, als den richtigen. Ein Jugendwerk von mir, durchaus unvollkommen, sowohl in dem was angestrebt, wie auch in dem wie es erreicht wird, gefällt heute, nachdem es früher missfallen hatte. Aber meine anderen Werke, je reifer und kunstvoller sie sind, je vollkommener erreicht wird, was angestrebt war und je höher das Angestrebte zu bewerten ist, desto geringer ist der Eindruck, den ich mache. Und da glaube ich nun: da für mich meine Werke immer nach einiger Zeit nur ihre Unvollkommenheit, ihr, an mir gemessen, relatives Misslungensein enthüllen, werden mir stets meine vorhergeschaffenen missfallen und meine jüngstvollendeten bis auf weiteres gefallen. Ich könnte also nie dazu kommen irgend etwas zu veröffentlichen, da ich wüsste, in einiger Zeit wird es mir auch schlecht vorkommen. Da finde ich also: es ist, vorausgesetzt, dass man das Gefühl hat: »Hier habe ich mich ausgesprochen« fast gleichgültig in welchem Stadium der technischen Reife man vors Publikum tritt. Wenn nur eines mir klar ist: Habe ich mich hier ausgedrückt? Habe ich gesagt, was ich sagen wollte? Das »Wie« wird ja besser, auch das »Was« nimmt zu. Aber die Hauptsache ist das »Was«, das »Wer«.
Ich bin ganz sicher, Sie haben recht, wenn Sie die Unvollkommenheit meines Könnens in den Naturstücken gleich Null setzen. Ich finde das alles selbst schlecht. Aber nicht etwa, weils mir zu wenig originell vorkommt, wie Sie zu glauben scheinen. Nein, ich finde es in ganz dem selben Sinn schlecht, wie Sie; und habe es immer auch schlecht gefunden. Weil ich nie das mir wohlbekannte Gefühl der Befriedigung dabei empfunden habe, das ich von meinem musikalischen Schaffen her, als das kenne, was mir sagt: es ist gut!
Dagegen habe ich dieses Gefühl bei fast allen den anderen (Phantasiestücken) empfunden und deswegen muss ich glauben: das ist etwas. Es sieht auf den ersten Blick komisch aus, dass ich annehme, jemand der nichts kann, sollte plötzlich etwas können. Aber ich halte das nicht nur für möglich; es ist bei mir sogar regelmäßig der Fall. Ich habe immer nur das gekonnt, was mir entsprochen hat; das aber unbedingt, sofort und fast übergangslos ohne Vorbereitung. Dagegen hat mir das, was andere können, das was die sogenannte »Bildung« ausmacht, immer Schwierigkeiten gemacht. Ich habe es auch erlernt. Aber erst später. Erst nachdem ich mich auf meinem natürlichen Gebiet zu einer gewissen Sicherheit durchgerungen hatte, bekam ich auch das in meine Gewalt, was die anderen konnten. Meist, da es erworben und nicht bloß erlernt war, weit besser, als es die anderen konnten. Ich kann und konnte nie so lernen wie Andere. Einiges konnte ich immer von selbst. Ohne jede Anleitung. Anderes hätte mir kein Lehrer der Welt beigebracht.
Und so muss ich mich, denn obwohl ich weiß, dass ich in meinem eigenen Kunstgebiet zu einem Schüler ähnlich sprechen würde, wie Sie zu mir, trotz alledem dahin entscheiden, dennoch nächstes Jahr auszustellen. Denn ich muss mitten drin stehen. Ich lerne daran. Wenn die Sachen einmal von mir fort sind, und Feindes-Augen sie ansehen werden, dann werden sie auch für mich was Anderes. Dann komme ich leichter dazu mich über sie hinauszuentwickeln. Nicht in letzter Linie aber trägt auch die Absicht etwas zu verkaufen zu diesem Entschluss bei. Ich bin auf sowenig Moos-Rosen gebettet, dass ich auch diesen Weg mein Einkommen auf ein angemessenes Niveau zu bringen betreten möchte. Und ich hoffe doch, dass sich Leute finden werden, denen meine Sachen was sagen und die was dafür hergeben wollen.
Ich bitte Sie also, mir mitzuteilen, ob eine Ausstellung bei Miethke möglich sein wird. Und wenn ich Sie recht sehr bitten darf, sobald es geht. Denn ich möchte um sicher zu gehen, eventuell bei Heller das machen, wenn es hier nicht möglich ist.
Ich empfehle mich Ihnen in vorzüglicher
Hochachtung ergebenst
Arnold Schönberg«

(Arnold Schönberg an Carl Moll, 16. Juni 1910)

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